Die Stimmung und Dramaturgie der CD resultieren aus einer konsequenten Suche nach Einfachheit in einer vielschichtigen Umgebung. „Meine letzte Produktion war hinsichtlich Songwriting und Produktion ziemlich komplex“, erzählt Angela Gabriel. „Auch in meinen Konzerten wurde mir alles zu dick und zu viel. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war das absolut stimmig, aber für die neue CD wollte ich diese Komplexität hinter mir lassen. Das bezog sich nicht nur auf die Musik, sondern auch die Texte mussten nicht mehr so lang sein. Ich suchte nach kürzeren und einfacheren Formaten.“
Mission accomplished! Angela Gabriel gehört nicht zu den Künstlern, die mit schöner Regelmäßigkeit ihr Jahresalbum rauswerfen, das sie dann abtouren, bis sie es selbst nicht mehr ertragen. Sie bringt nur dann eine CD raus, wenn sie auch etwas zu erzählen hat. Zwischen dem Zeitpunkt, an dem sich dieses Bedürfnis in ihr manifestiert, bis zur konkreten Form der sich abzeichnenden Produktion vergeht bei ihr oft eine halbe Ewigkeit. Doch Zeit spielt keine Rolle. Erst als sie sich bewusst wurde, was sie mit „Sunkissed“ überhaupt sagen will, kam ihre Band ins Spiel. Vor allem mit Gitarrist Raffael Holzhauser legte sie einen Teppich erster Ideen aus. Er teilte mit ihr diese Hinwendung zur poetischen Reduktion. Bevor sich die Sängerin dann mit dem Rest der Band - Bassist Oliver Potratz, Drummer Kai Schönburg und Holzbläser Tilman Denhardt - traf, hatte sie eine Vision. „Ich sah uns im Süden in einer großen Scheune, durch deren Bretter das Licht dringt, weil es dort ja nie regnet. Es ist warm, aber nicht heiß, und das Licht ist nicht gleißend, sondern eher gestreut. Der Sound, der sich daraus ergibt, ist holzig, trocken und warm. Als ich das der Band bei der ersten Probe kommunizierte, meinte ich in den Augen der Musiker ein Leuchten zu erkennen.“
Und so suchten auch die Musiker nach jenem Klang aus Holz, Licht und einer sommerlich vergilbten Farbenpracht. Oliver Potratz steuerte einen schnarrenden, holzigen Basssound bei. Sein Klang ist weniger elegant als griffig und zupackend. Kai Schönburg versuchte seinen Drumsound so lebendig wie möglich zu modifizieren. Unter anderem bedeckte er die Trommeln mit alten Lappen, um seinem Beat einen Hauch von nostalgiefreier Erinnerung zu verleihen. Man hört, dass sich die Musiker miteinander, aber auch mit Angela Gabriels Vision wohlfühlen. Wenn man es in einen Kontext der bildenden Kunst übersetzen wollte, könnten vielleicht die Tunis-Aquarelle von August Macke Pate stehen, bei denen auch nach 100 Jahren noch der Eindruck besteht, das Licht selbst hätte die Farben aufs Blatt gehaucht. Die Musik ist kraftvoll, bunt und doch transparent und zart. Eine Stimmung von lichtdurchwehter Freundlichkeit. „Genau danach sehne ich mich. Damit will ich mich umgeben und das will ich auch hervorbringen. Gerade in der Hektik der Großstadt will ich nicht den Glauben an das Gute verlieren. Ich will das Angenehme, Schöne, Freundliche im Leben erleben und selbst hervorbringen. Ich möchte so leben.“
Eine Sängerin, die ihr Leben lang die Balance zwischen dem urbanen Alltag und der pastoralen Sehnsucht nach Individualität zu finden hoffte, offenbart sich in ihrem fast naiv anmutenden Anspruch, der synaptischen Überforderung unseres postinformellen Zeitalters etwas zutiefst Organisches entgegenzusetzen. Die arglose Unberührtheit dieser Songs ist zuweilen geradezu erschütternd, weil Angela Gabriel darauf verzichtet, in die emotionale Trickkiste zu greifen oder uns mit Klischees zu überschütten. Ein unfassbar lebensbejahender Grundton zieht sich vom ersten bis zum letzten Klang der Platte. Wollte man den Grundton von „Sunkissed“ mit einem einzigen Wort beschreiben, wäre das wohl „positiv“. Stilistisch hingegen wagt Angela Gabriel einen recht kühnen Mix, ohne sich auf das eine oder andere Idiom festzulegen. Ihr leichtes Zusammenwirken von Jazz, Latin, Chanson, Pop und anderen Zutaten wirkt wie ein kunstvolles Korbgeflecht, was ihrer sommersüdlichen Gesamtverfassung ja nur zugute kommt. All diese Komponenten gemeinsam ergeben Angela Gabriels persönliche Signatur. „Die Texte, die ich schreibe, sind stets der Spiegel einer bestimmten Lebensepoche. Es dauert ja auch immer eine Weile, bis ich nach einer Veröffentlichung überhaupt eine neue Produktion machen kann. Ich verwerfe manche Produktion, weil ich das Gefühl habe, das ist noch nicht reif. Mein Leben fließt in meine Texte und über die Texte auch wieder in die Musik. Und wenn das dann fertig ist, weiß ich nicht mehr, wie all das entstanden ist.“
Gerade dieses entspannte und leicht mystische Verhältnis zu ihrer eigenen Schöpfung bewahrt die Berlinerin davor, Songs nach einem bestimmten Schema zu entwerfen. Jedes Lied steht einzig für die Geschichte, die es jeweils erzählt. Wenn sie sich nach einer Produktion zunächst leer und ausgepumpt fühlt, reichert das Leben selbst früher oder später ihr Songbuch mit neuen Geschichten an, die erst nur als Skizzen existieren, bis sich - wenn diese Ideen kraftvoll genug sind - komplette Lieder daraus hervorschälen. Jeder Track beschreibt den Prozess einer Verwandlung. Die übergreifenden Themen von „Sunkissed“ sind Liebe, Begegnungen und zwischenmenschliche Beziehungen. Angela Gabriel ist eine feinsinnige Beobachterin, die ihrem Hörer nicht vorgibt, wie er ihre Angebote verstehen soll. Sie öffnet mit ihren Liedern Fenster und lässt durch die Lamellen der Holzfensterladen das Licht auf die Leinwand der Wahrnehmung strömen. So entfacht sie mit dem sommerlichen Flügelschlag ihrer Songs einen sanften Dialog, der - wir sagten es bereits eingangs - keine Übersetzungen und Erklärungen braucht.
Wolf Kampmann